Einführung zur Ausstellungseröffnung:
LUCIE KAZDA „NEBEL DER ZEIT“
Samstag, 16. Juni 2018
AK-Kunst in der Galerie im Bürgerzentrum der Stadt Münchberg
Der unbedingte Wille zu künstlerischem Schaffen zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografie von Lucie Kazda. In Berlin lernte sie zuerst von der Pike auf das Friseur- und Make-up Handwerk. Es folgten Aufträge als Maskenbildnerin und Visagistin für Fotoshootings mit berühmten Persönlichkeiten aus Theater, Film- und Politik. Trotz dieser erfolgreichen Arbeit entschloss sie sich für das Studium „Textil- und Oberflächendesign“ in Weißensee. Als diplomierte Designerin arbeitete sie viele Jahre in der Autoindustrie für namhafte Unternehmen, wie Mercedes, BMW und Ford. In der freien Wirtschaft geht es bekanntermaßen immer um die schnelle Entwicklung von Neuem und natürlich um Umsatzzahlen. Als Gegenpol dazu entstand der tiefe Wunsch nach Ruhe, Stille und Naturerlebnis. In diese Zeit fällt der Beginn ihrer Landschaftsmalerei. 2017 komplettierte sie ihr Ausbildungsspektrum im Kunst- und Kultursektor mit einem Abschluss als Kuratorin an der Universität der Künste in Berlin. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet Lucie Kazda mit ihrer Familie als freischaffende Designerin und Künstlerin in Bayreuth. Ihre Werke wurden bisher in vielen Ausstellungen gezeigt - von Krakau, über Brüssel, Köln, Hamburg, Berlin, Bamberg und Bayreuth, bis hin nach Münchberg.
Die Bilder dieser Ausstellung „Nebel der Zeit“ thematisieren Natur als das erste grundlegende Prinzip allen Seins. Natur umfasst alle Vielfalt zur Einheit einer Welt und ist immer das gesamte Ganze dieser Lebenswelt. Die moderne, bis heute gültige Position der künstlerischen Naturbetrachtung, die sich nicht von einem distanzierten Standort aus als ein Motiv oder Gegenüber, sondern als Teil der Natur empfindet, beginnt in der Romantik.
Mussten nicht romantische Seelenstimmung und leidenschaftliches Naturstudium im 19. Jahrhundert notwendig zu einer individuell verzweigten Erneuerung der künstlerischen Bildsprache führen?
Den Aussichten auf beeindruckende Naturformationen, Ansichten pittoresker Gegenstände, also Sehenswürdigkeiten aller Art, und ihrer bis ins späte 19. Jahrhundert alteliermäßig-professionellen Verarbeitung zu idealen oder heroischen Landschaftsbildern, zu Prospekten, Panoramen und zu geografisch-geologischen Anschauungstafeln traten zunehmend scheinbar beliebige, unspektakuläre Landschaftsausschnitte gegenüber. Aus der Reflektion der Wechselbeziehung von Wahrnehmung und Imagination, von Außenbild und Innenbild entstanden in individuell-experimentellen Malprozessen bis dahin nie gesehene Bilder.
„Ich muss mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin“, bekennt 1821 der große Erneuerer der Landschaftsmalerei, Caspar David Friedrich. Ähnlich mit der Natur verbunden stellen wir uns auch William Turner vor, vielleicht in einem kleinen Boot auf der Themse, in einem lichtflirrenden, unbegrenzten Raum aus farbigen Reflexen; und im 20. Jahrhundert wird Mark
Rothkos Bildern von manchen Interpreten eine Caspar David Friedrich verwandte Reflektion über Grenzen und Unendlichkeit zugeschrieben.
In dieser Tradition steht auch das künstlerische Schaffen von Lucie Kazda.
Vielleicht ist es Ihnen heute beim Betreten der Ausstellungsräume genauso gegangen wie mir beim ersten Betrachten diser Bilder. Sie haben das berühmte Gedicht von Matthias Claudius in mir wachgerufen:
„…und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar. Wie ist die Welt so stille und in der Dämmrung Hülle so traulich und so hold als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer verschlafen und vergessen sollt.“
Lucie Kazda schafft fantastische Bildwelten: vertikale und horizontale Linienbündel, vibrierende Graphismen und flirrende Farbbahnen suggerieren Wald, Dickicht, Seenlandschaften, Himmel und Horizont. Alles ist mit Dunstschleiern überzogen. Auf manchen Bildern ist es kalt, fast eisig. Andere Farbflächen scheinen von Sonnen-, und Lichtstrahlen erhellt und erwärmt zu werden. Streng gebaute Bilder, in denen die Malerin fein vertreibende Malweise mit gestisch skripturaler Handschrift und atmosphärisch-transparente Partien mit opaken Farbflächen und Kratzspuren in der Farbe zur Einheit verbindet. Als Malgrund dient ihr neben der Leinwand transparentes, glattes und lichtdurchlässiges Pergamentpapier. Sie arbeitet ausschließlich mit Ölfarben, die sie mit Pinseln, Bürsten und Fingern in vielen Schichten - die letzte zieht sich wie ein Nebelkleid über ihre Arbeiten - auf die Leinwand oder das Pergamentpapier aufträgt.
Spannungen erhalten die Werke zusätzlich durch die Maserungen auf der Oberfläche von Objekten aus der Natur, wie z. B. Rinden, Blätter, Halme und Holz, die sie in der Technik der Frottage einarbeitet.
Die Künstlerin hat sich konsequent für das Quadrat als Bildformat entschieden. Ein Quadrat begrenzt im Gegensatz zum Unbegrenzten.
In seiner Ebenmäßigkeit ist das Quadrat neben dem Kreis - nach Platon - von vollendeter Schönheit.
Es spiegelt viele Bereiche des menschlichen Lebens wieder, wie die vier Himmelsrichtungen, die vier Jahreszeiten, die vier Elemente, die vier Temperamente. Das Quadrat schafft verlässliche Gleichförmigkeit und damit Sicherheit. Die vermeintliche Sicherheit täuscht, denn alles liegt hinter dem Nebel. In den abstrakten Landschaften brechen sich immer wieder matte Licht- und Sonnenstrahlen Bahn durch schwer lastende Wolkendecken und transparente Nebelfelder. Die changierenden Farbflächen schaffen eine große Spannung zwischen Landschaftsebene und Himmelsraum. Es ist der Prozess einer Verdichtung von Farbklängen, der begleitet und gestützt wird durch immer tiefer werdende Bildgründe, die durch das Auftragen der Farben in mehreren Schichten entstehen. Der Blick verliert sich in der Tiefe des Raumes und erweckt die Vorstellung einer beeindruckenden Naturerscheinung, deren Sog man sich nicht entziehen kann.
Die Landschaften sind menschenleer. Auf keinem Bild gibt es Figuren, nicht einmal als Staffage. Bäume, Sträucher, Gras, alles wird nur angedeutet. Und auch die Gebäude besitzen kein erleuchtetes Fenster und keinen rauchenden Schornstein. Die zugespitzte Erfahrung von Einsamkeit, Stille und Machtlosigkeit auf der einen Seite, trifft andererseits auf die Grenzenlosigkeit des Möglichen. Das kann nicht mit narrativen und topografischen Fixierungen gelingen, sondern nur mit der künstlerischen Verdichtung vielfältiger Erlebnisebenen. Die Farben in Kazdas Bildern dienen trotz einer atemberaubenden Fülle von Tonstufen nicht wirklich dem Zwecke der Kolorierung, sondern sie schaffen einen farbigen Zusammenklang, eine Sinfonie aus Licht und Düsternis, die Schwere, Leichtigkeit und Leuchtkraft verbindet und immer eine luftige Atmosphäre ausstrahlt.
Kazdas Malerei ist nicht Abbildungs-, sondern Übersetzungsarbeit. Ein künstlerisches Bild ist zuerst Dokument seiner Entstehung, die Offenlegung weitläufiger und vielschichtiger Prozesse des Denkens und Empfindens. Dem Betrachter kann ein Erlebnis von Landschaft nur durch starke künstlerische Bilder vermittelt werden.
„Im Nebel der Zeit“ beinhaltet Tageszeit, Jahreszeit, Lebenszeit. Die Witterung bestimmt die Kontraste von messerscharf bis diffus verhaucht. Und das Licht der jeweiligen Tages- und Jahreszeiten mischt die Farbnuancen von diesen Denk – oder mehr noch Meditationsbildern, die weniger von der Landschaft erzählen, als von Zeit, Raum und dem eigenen Bewusstsein.
Die Natur ist heute in nie geahntem Ausmaß der Beherrschung und Ausbeutung des Menschen unterworfen, so dass sie außerhalb des Horizontes von Fortschritt und Nutzen oftmals gänzlich uninteressant für ihn geworden ist. Es scheint kein Bedürfnis nach dem Bild von Landschaft zu bestehen, das eine ursprüngliche Weltordnung und Lebensganzheit ästhetisch präsent hält.
Natur verliert unter modernen Bildbedingungen an Eindeutigkeit, aber sie gewinnt eine unbekannte Totalität. Ihr Ort kann überall sein: in uns und außer uns. Sie ist nicht das Land vor unseren Augen, auf das wir blicken -zum komponierten Ausschnitt gefügt. Was die Künstlerin malend aufspürt, ist ein vielgestaltiges Substrat. Der Stoff aus dem sich Wirklichkeit bildet und in den sie zerfällt. Natur beinhaltet eine Spannung zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen. Damit kann der erlebte Augenblick in der Natur im künstlerischen Werk, wenn Innen – und Außenbilder zur Kongruenz kommen, zu einem großen, ja magischen Moment werden. So schafft Kazda in ihren Bildern zeitlose innere Seelenlandschaften. Das gilt für das Inhaltliche, als auch für das Formale, denn es geht immer um die Besinnung auf das Bild im Betrachter, also gefühlte Bildwelten, in sich gewandte Seelenzustände, die dort abgebildet sind. Dabei gibt uns die Künstlerin kein Programm und keinen Code vor, den wir entschlüsseln müssen, sondern wir sind als Betrachter mit der unendlichen Weite konfrontiert und können uns in ihr verlieren, den Nebel durchdringen und Assoziationsräume öffnen.
Aus ihrem eigenen Naturerleben, aber auch aus den die Zukunft einbeziehenden Empfindungen, Ahnungen, Ängsten und Sehnsüchten ergibt sich ein oszillierendes Feld innerer Bilder als Energiezentrum ihres Malprozesses.
Heinrich von Kleist hat genau dieses Erleben zu Caspar David Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer“ in einer Metapher 1810 in den Berliner Abendblättern ausgedrückt: Das Bild sei „...in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit…wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlider weg-geschnitten wären.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen in der Begegnung mit den Werken von Lucie Kazda, dass Sie sich in die Unendlichkeit ihrer Bilder vertiefen können, um zu sehen und zu spüren, was „Hinter dem Nebel“ liegt.